Fuball ist unkalkulierbar - Dr. Roland Loy im Interview 11FREUNDE

Herr Dr. Loy, Sie haben in den vergangenen 20 Jahren rund 3000 Fuballspiele analysiert. Wenn Sie vor dem Fernseher oder im Stadion sitzen, knnen Sie den Wissenschaftler in sich ausschalten und einfach nur ein schnes Spiel genieen?

Herr Dr. Loy, Sie haben in den ver­gan­genen 20 Jahren rund 3000 Fuß­ball­spiele ana­ly­siert. Wenn Sie vor dem Fern­seher oder im Sta­dion sitzen, können Sie den Wis­sen­schaftler in sich aus­schalten und ein­fach nur ein schönes Spiel genießen?

Aber selbst­ver­ständ­lich! Seit meiner Kind­heit bin ich der aller­größte Fuß­ballfan. Ich hatte eben das Glück, mein Hobby zum Beruf machen zu können.

3000 Par­tien in sta­tis­tisch erfass­bare Ein­heiten zu zer­legen – klingt nach harter Arbeit. Welche Erkenntnis haben Sie dabei gewonnen?

Vor allem die, dass wir Licht­jahre davon ent­fernt sind zu ver­stehen, wie der Fuß­ball funk­tio­niert. Und es trennen uns sogar ganze Gala­xien davon zu wissen, wie Erfolg im Fuß­ball zustande kommt.

Aber Herr Dr. Loy, ganze Heer­scharen von Trai­nern, Mana­gern und anderen Experten zer­bre­chen sich tag­täg­lich den Kopf dar­über, wie Fuß­ball funk­tio­niert und erklären uns die Ursa­chen für Sieg oder Nie­der­lage. Und Sie behaupten, dass dies alles Humbug ist?

Tat­sache ist, dass da jede Menge Halb- und Unwahr­heiten über Trainer- und Spie­ler­ge­nera­tionen hinweg unre­flek­tiert ver­breitet werden – ohne dass diese Aus­sagen jemals ernst­haft geprüft worden sind. Wäh­rend hier­zu­lande bestimmte Indus­trie­zweige ein Ver­mögen in die For­schung inves­tieren, um sich dadurch Wett­be­werbs­vor­teile zu sichern, basiert das Mil­li­ar­den­ge­schäft Fuß­ball weit­ge­hend auf reinen Ver­mu­tungen und teil­weise gra­vie­renden Fehl­an­nahmen.

Können Sie ein Bei­spiel nennen?

Die Behaup­tung, dass die­je­nige Mann­schaft gewinnt, die mehr Zwei­kämpfe für sich ent­scheidet, ist schlichtweg falsch. Ich habe mehr als 100.000 Eins-gegen-eins-Situa­tionen unter­sucht und fest­ge­stellt, dass nur etwa 40 Pro­zent aller Spiele von den zwei­kampf­stär­keren Mann­schaften gewonnen werden.

Soll man Zwei­kämpfe ein­stellen?

Nein, ich will nur ver­meiden, dass sich solche Spe­ku­la­tionen als Lehr­mei­nung fort­pflanzen. Ich wün­sche mir eine Kultur der Zurück­hal­tung bei Aus­sagen über erfolgs­ver­spre­chende Hand­lungen im Fuß­ball.

Gibt es noch mehr sol­cher Fuß­ball­lügen?

Aber sicher, die Liste ist sehr lang. Die These, dass das Flü­gel­spiel erfolg­rei­cher sei als das Spiel durch die Mitte, ist jedem Fuß­ballfan in den zurück­lie­genden Jahren sicher­lich mehr als 1000-mal zu Ohren gekommen. Von daher war auch ich über­rascht, als ich nach der Ana­lyse von meh­reren Tau­send Angriffen fest­stellen konnte, dass sowohl Vor­stöße über die Außen­po­si­tionen als auch solche durch die Mitte in zwei Pro­zent aller Fälle ein Tor nach sich zogen.

Haben Sie schon mal ver­sucht, den einen oder anderen Bun­des­li­ga­trainer auf solche Fehl­an­nahmen hin­zu­weisen?

Teil­weise spürt man ein hohes Maß an Ableh­nung. Die Trainer haben offen­sicht­lich Angst davor, an Auto­rität zu ver­lieren. Da werden Dinge, die sie jah­re­lang gepre­digt haben, von jemandem als falsch ent­tarnt. Das Grund­pro­blem ist doch: Was will ein Trainer wei­ter­geben, wenn so gut wie keine gesi­cherten Erkennt­nisse zu erfolg­rei­chem Ver­halten im Fuß­ball exis­tieren?

Aber es kann doch nicht sein, dass Sie Tau­sende von Spielen ana­ly­siert haben, nur um uns sagen zu können, dass wir kaum etwas über Fuß­ball wissen. Ein paar hand­fes­tere Erkennt­nisse müssen Sie doch gewonnen haben.

Die wis­sen­schaft­liche Wider­le­gung unzäh­liger seit Jahr­zehnten popu­lärer Fuß­ball­weis­heiten“ sehe ich als wesent­li­chen Erkennt­nis­ge­winn an. Außerdem haben meine Ana­lysen – um ein Bei­spiel für den prak­ti­schen Nutzen der Ergeb­nisse zu geben – gezeigt, dass hoch aus­ge­führte Elf­meter erfolg­rei­cher sind als flach geschos­sene. Ich habe diese Infor­ma­tion auch einmal dem Trainer einer Bun­des­li­ga­mann­schaft an die Hand gegeben. Am darauf fol­genden Samstag hat dann seine Mann­schaft einen Elf­meter zuge­spro­chen bekommen – der vom Spieler flach aus­ge­führte Straf­stoß ist dann vom geg­ne­ri­schen Tor­hüter gehalten worden. Man weiß auch, welche Art von Eck­stößen eher zu Toren führen. Das sind Klei­nig­keiten, die aber Spiele ent­scheiden können.

Welche Rolle spielt der Zufall im Fuß­ball?

Eine viel, viel grö­ßere als alle Experten wahr­haben wollen. Die letzten 215 Tore der Bun­des­li­ga­saison 2006/07 waren zu 47 Pro­zent Zufalls­pro­dukte – sprich sie resul­tierten aus Abpral­lern, abge­fälschten Schüssen, schweren Abwehr­feh­lern, Boden­un­eben­heiten und so weiter. Es ist ja gerade die Unkal­ku­lier­bar­keit des Fuß­balls, die zu seiner Fas­zi­na­tion bei­trägt.

Sie for­dern die Bil­dung einer Taktik-Task-Force. Wofür?

Haupt­auf­gabe dieser Taktik-Task-Force sollte es zunächst einmal sein, her­aus­zu­finden, was wir tat­säch­lich über Fuß­ball und tak­ti­sche Spiel­hand­lungen, die zum Erfolg führen, wissen. Und dieses Gre­mium müsste fest­legen, wie eine fort­schrei­tende Grund­la­gen­for­schung aus­zu­sehen hat. In der Taktik-Task-Force sollten Trai­nings­wis­sen­schaftler, Sport­me­di­ziner, Sport­psy­cho­logen, Sta­tis­tiker, aber auch Trainer, Manager und Spieler ver­treten sein.

Können Sie uns als aus­ge­wie­sener Fuß­ball-Fach­mann denn ver­raten, wer deut­scher Meister wird?

Nein. Da muss ich leider passen. Ich bin schließ­lich kein Hell­seher.

Aber Sie können uns anhand Ihrer umfang­rei­chen Ana­lysen viel­leicht erklären, warum der VfB Stutt­gart am Ende der ver­gan­genen Saison ganz oben stand?

Auch da vermag ich nicht wei­ter­zu­helfen. Nur so viel kann ich sagen: die Sta­tis­tiken zeigen, dass die Mann­schaft, die mehr Fouls begeht, etwas häu­figer gewinnt. Und jetzt raten Sie mal, wer in der ver­gan­genen Spiel­zeit die meisten Fouls verübt hat?

Der VfB Stutt­gart.

Richtig! Nur damit wir uns nicht falsch ver­stehen – aus päd­ago­gi­scher Sicht ist das Foul­spiel natür­lich zu ver­ur­teilen.

——-

Dr. Roland Loy ist 45 Jahre alt, wohnt in Mün­chen und arbeitet unter anderem als Fach­be­rater für die ZDF-Sport­re­dak­tion. Der pro­mo­vierte Sport­wis­sen­schaftler hat in den ver­gan­genen 20 Jahren 3000 Fuß­ball­spiele ana­ly­siert und die Ergeb­nisse in dem zwei­bän­digen Werk Taktik und Ana­lyse im Fuß­ball“ zusam­men­ge­fasst. Fuß­ball­pro­fessor“ Dettmar Cramer fun­gierte als sein Mentor“. Loy ist Inhaber der Trainer A‑Lizenz des DFB und hat als per­sön­li­cher Berater mit Franz Becken­bauer bei der deut­schen Natio­nal­mann­schaft, bei Olym­pique Mar­seille und beim FC Bayern Mün­chen zusammen gear­beitet.

Die Weg­be­reiter des Erfolgs? Die schlimmsten Treter der Bun­des­li­ga­ge­schichte findet Ihr hier www​.11freunde​.de/​b​u​n​d​e​s​l​i​g​e​n​/​1​03084 .

ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWeWqnKEf4RyfZuZnKF6qr%2FTZqyno5GhuLa4yJ6pm5miZIJ3g5Jwag%3D%3D

 Share!