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Uwe Fuchs, Sie sind neulich von Fans des FC Middlesbrough mal wieder ausgezeichnet worden, offensichtlich haben sie dort einen großen Eindruck hinterlassen?
Diesmal bin ich zum „besten Ausleihspieler“ gewählt worden, was aus deutscher Sicht etwas komisch klingt, aber in England durchaus Bedeutung hat. Zumal das bei mir 20 Jahre her ist und auch so tolle Spieler wie Juninho, Carbone oder Gaizka Mendieta zur Wahl standen – irre! Zum „Player of the decade“ für die Neunziger bin ich auch schon mal gewählt worden, und das, obwohl ich nur ein halbes Jahr in Middlesbrough war und 13 Spiele gemacht habe.
Wie erklären Sie sich den Kult um Sie?
Ich war zur rechten Zeit am rechten Ort. Auch durch meine neun Tore sind wir in die Premier League aufgestiegen und das in einem für den Klub besonderen Jahr: Es war nämlich die letzte Saison im alten Ayresome Park. Trotzdem denke ich manchmal: Alles nur geträumt. Selbst heute kommt mir das total unwirklich vor.
Wie sind Sie damals überhaupt nach Middlesbrough gekommen?
Die Mannschaft war im Aufstiegsrennen zur Premier League zurückgefallen und suchte einen Mittelstürmer. Tony Woodcock hat mich dem damaligen Trainer Bryan Robson empfohlen, mit dem er in der Nationalmannschaft zusammengespielt hatte. Ich war damals noch Junggeselle, hatte keine Familie, also habe ich mich auf das Abenteuer eingelassen.
Inwiefern Abenteuer?
In den siebziger Jahren habe ich samstags im SWF-Radio immer Arthur Rothmil gehört, wenn die Ergebnisse der englischen Liga und einen kurzen Bericht vom Spitzenspiel durchgegeben hat. Da hatte ich noch die Namen als total klingend im Ohr: Derby County, Queens Park Rangers oder West Ham United. Für mich hatte das was Mythisches.
Und wie mythisch war es, als Sie in Middlesbrough ankamen?
Er war Ende Januar, hatte zwei Grad plus und der Regen kam waagerecht eingeflogen. Teeside ist als Industriestandort auch nicht sehr einladend, aber die Zuschauer im Stadion sind total leidenschaftlich mitgegangen. Wenn einem Spieler der Ball versprungen ist, er aber nachgesetzt und den Gegner über die Seitenauslinie getackelt hat, haben alle gejubelt. Da hatte ich das Gefühl: Hier kannst du nicht schlecht aussehen, denn kämpfen konnte ich.
Haben das Ihre neuen Mitspieler auch so gesehen?
Im musste nicht nur ein Probetraining machen, sondern Bryan Robson hatte sogar noch ein Testspiel angesetzt. Nur hatte ich mir im letzten Training davor meinen großen Zeh verletzt und bin total frustriert zum Stadion gefahren, weil ich dachte, dass der Deal platzt. Als ich ankam, sind mir alle Jungs um den Hals gefallen, weil der Trainer den Test abgesagt hatte. Ich war direkt mal der Hero, und den Vertrag bis Saisonende habe ich trotzdem bekommen.
Ihren Heldenstatus haben Sie dann im ersten Spiel gleich mit einem Tor bestätigen können.
Und das nach acht Minuten, damit war ich direkt in der Mannschaft angekommen. Aber sie hat es mir auch leicht gemacht. In London wäre es vielleicht anders gewesen, weil die Stadt so weitläufig ist, aber in Middlesbrough haben sich die Jungs um mich gekümmert. Wir wohnten nicht weit voneinander entfernt, und so hat man sich privat viel gesehen. Gleich zu Beginn hat mich Mannschaftskapitän Nigel Pearson, der heute Trainer von Leicester City ist und mit dem ich nach wie vor befreundet bin, sogar das ganze Wochenende zu sich nach Hause in Sheffield eingeladen.
Das klingt ungewöhnlich.
Alles war ungewöhnlich. Wie besonders die Atmosphäre in der Kabine in England ist, habe schon nach ein, zwei Tagen gemerkt. Morgens waren alle oft anderthalb Stunden vor Trainingsbeginn da. Es stand Tee und Gebäck bereit, und dann wurde nicht nur Witze erzählt, sondern wie ein kleines Theaterstück quasi aufgeführt. Obwohl mein Englisch anfangs nicht so gut war, wurde ich gleich einbezogen.
Um noch besser Witze auf Kosten des „German“ zu machen?
Auch das. Es war ja Jubiläumsjahr, 50 Jahre nach Kriegsende. Als ich am 8. Mai morgens in die Kabine kam, stand mit Filzstift über meinem Spind geschrieben: „England – Deutschland 2:0. 1914–18, 1939–45“. Dann kam unser Torwarttrainer und sagte: „Das ist totaler Quatsch“. Er stieg auf den Suhl, strich die „2“ durch, machte eine „3“ draus und schriebt drunter „1966“. Da haben alle gegrölt, also bin ich hoch und habe daneben geschrieben: „Halftime“. Da hatte ich die Lacher auf meiner Seite.
Gab es so was häufiger?
Es gibt in England ein berühmtes Lied, das die Soldaten im zweiten Weltkrieg gesungen haben: „Who do you think you are kidding Mr. Hitler“. Also, wer denn dieser Herr Hitler zu sein glaubt und dass man ihm jetzt mal seine Jungs schickt. Als ich eines Morgens in die Kabine kam, haben 25 Mann wie auf Befehl dieses Lied gesungen, sich mit den Fingern ein Hitlerbärtchen gehalten und mit Hitlergruß durch die Maschine marschiert.
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